Freihändig in den Stillstand

An sich ist die Bauleiterwelt ja voll in Ordnung. Mit der VOB/B (für Nichteingeweihte: „Vertragsordnung für Bauleistungen“) hat man ein über Jahre erprobtes klares Regelwerk an der Hand, mit dem man so ziemlich jedes Problem am Bau schon irgendwie gelöst bekommt. Auch das Problem, leistungsunwillige Firmen an die Kandare zu bekommen oder sie durch leistungswillige zu ersetzen. In §5 und §8 steht alles drin, was man wissen und machen muss, um in wenigen Tagen eine neue Firma am Start zu haben. Was hier nicht steht, ist was passiert, wenn man für Bauherren mit Rechtsabteilungen baut…

Das wäre das VOB-Soll: hält eine Firma einen Termin auch nach schriftlicher Aufforderung und Nachfrist nicht ein, kann der Bauherr den Vertrag kündigen und die Arbeit von einer anderen Firma ausführen lassen. Eventuelle Mehrkosten hat die leistungsunwillige Firma zu tragen. Mit ein bisschen Vorbereitung könnte man damit eine Menge Situationen kurzfristig retten und VIEL VIEL Geld, Zeit und Nerven sparen.

Bei dem Bauherren mit Rechtsabteilung (also bei den meisten öffentlichen Bauherren) sieht das dann so aus:

1) Ich mahne mit Fristsetzung, die Frist verstreicht (1.Woche weg)

2) Der Bauherr setzt eine Nachfrist (2.Woche weg)

3) Sicherheitshalber setzt der Bauherr eine dritte Nachfrist. Derweil beginnt die Rechtsabteilung, alle vertragsrechtlichen Probleme zu beleuchten, insbesondere in Bezug auf die EU-Harmonisierung und etwaige Gegenforderungen der Firma. ( die nächsten 3 Wochen weg)

4) Inzwischen sind sechs Wochen vergangen. Die Firma, wohl wissend, dass der Bauherr ja eh nix macht, bequemt sich, ein bisschen zu leisten (aber bloß nicht fertig machen – das wäre ja übertrieben…). Der Bauherr bzw. seine Rechtsabteilung schätzt jetzt das Risiko einer Kündigung als zu hoch ein und entscheidet, abzuwarten. (die nächsten 3 Wochen sind weg, inzwischen sind also 9 Wochen vergangen).

5) Am Ende beginnt eine erneute Mahnrunde mit neuen Fristen, womit wir wieder bei 1) wären.

6) Jetzt passiert manchmal wirklich Revolutionäres: ein Vertreter des Bauherren ist mutig und entscheidet sich zur Kündigung (Vielleicht, weil die Rechtsabteilung gerade in Urlaub ist oder so). Natürlich braucht man jetzt auch eine Ersatzfirma. Aber woher nehmen? Früher griff man einfach in den Pool der anderen Anbieter, die auch ein Angebot abgegeben hatten. Ruck zuck wäre ein Ersatz da gewesen. Aber diese Zeiten sind vorbei. Weil wir in der EU sind und die VOB/A zu befolgen ist, muss öffentlich ausgeschrieben werden. Dazu muss jetzt erst mal ein Leistungsverzeichnis mit den entsprechenden Vertragstexten erstellt werden (zwei Wochen weg). Und dann muss veröffentlicht werden (mit ausreichender Vergabefrist, also weitere sechs Wochen bis zum Eingang der Angebote). Danach prüfen, werten, Auftragserteilung bekannt geben und Frist abwarten (weitere 4 Wochen). Zehn Wochen nach der Kündigung hat man also eine neue Firma und kann loslegen.

7) In der Zwischenzeit haben die anderen Firmen, deren Leistung auf der Arbeit des ausfallenden Gewerks aufbauen sollte, die Baustelle verlassen und andere Arbeiten angenommen. Jetzt muss man Sie erst mal wieder an die Baustelle kriegen. Ausserdem muss die neue Firma ja erstmal die Baustelle einrichten, Material beschaffen etc. pp. Bis alles wieder rund läuft gehen je nach Baustelle noch mal ein bis zwei Monate ins Land.

8) Alles in Allem hat die Aktion am Ende des Tages mindestens vier Monate Bauverzug gekostet, mit ein bisschen Pech auch gerne mehr. je nach Gewerk kommen dann noch andere Verzüge hinzu: Verschieben des Bauablaufs in die Schlechtwetterperiode, Überarbeiten der Werk- und Montageplanung, erforderliche Rückbauten aufgrund fehlender Gewährleistung, weitere Verzüge durch erneuten Anlauf und so weiter und so fort. Die Mehrkosten für die entstehende Bauzeitverzögerung bei den anderen Ausführenden gehen zwar theoretisch zu Lasten des ursprünglichen Auftragnehmers, dieser ist aber entweder pleite oder sofort vor Gericht oder beides. Nach fünf Jahren Rechtsstreit gibt es dann einen Vergleich, der zumindest einen Teil der Kosten deckt. An das Geld kommt der Bauherr wegen Pleite trotzdem nicht…

Fazit: derartige Probleme sind bei großen Bauvorhaben heutzutage normal. Wundert sich da noch jemand über unkalkulierbare Baukosten und stetig neue Terminzusagen?

 

 

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